Rein in die Wanderschuhe - ich will mal wieder raus in die Natur! Aber nicht irgendwohin, sondern ins idyllische Unterallgäu. Wo einst Wasserdoktor Sebastian Kneipp zu Hause war, entdecke ich die fünf Elemente seiner Therapie bei einem coolen Wochenend-Trip. Viel ist dabei umsonst, meistens bin ich draußen: Der geniale "Kneipp´sche Espresso" bringt mich morgens auf Touren, ich koste Heilkräuter und die neue Kneipp-Küche - und bin im stillen Wald ganz bei mir selbst. 

Hier sehen Sie einen Mann, der seine Füße in das kalte Wasser eines Baches hängt.
© Helge Bendl - Cool zum Abkühlen: Im Unterallgäu gibt’s viele kleine Bäche. Da nehme ich in einer Wanderpause gern ein kaltes Fußbad - Kneipp würde sich freuen!

Heilung durch Mutter Natur: Im Wald kommt mein Inneres in Ordnung.

„Hey, aufwachen“, sagt die innere Stimme zu mir, als ich mir überlege, vielleicht doch noch ein halbes Stündchen länger zu dösen. Mein Bauchgefühl ist schon an normalen Tagen ein ziemlich guter Ratgeber. Definitiv aber hat meine innere Stimme Recht an diesem Morgen, als sie mir zuruft: „Dieses Wochenende wird nicht sinnlos vertrödelt!“ Also raus aus dem Bett, rein in Wanderschuhe und Outdoorklamotten! Früher sind die Leute zum Beten in die Kirche gegangen, um ihrer Seele etwas Gutes zu tun. Bei mir geht es für so etwas in den Wald: Dort nach einer stressigen Woche unterwegs zu sein, dort den Kopf durchzupusten, bringt meine innere Ordnung meist schnell wieder ins Gleichgewicht. Ich bin überzeugt: Mutter Natur kann mich heilen – ich muss das eben nur zulassen.

Pfarrer Kneipp würde dieser These zustimmen, da bin ich mir sicher. Vor einem halben Jahr war ich schon einmal zu Besuch in Bad Wörishofen, für eine Kneipp-Schnupperkur, um die fünf Elemente seiner Naturheilkunde kennen zu lernen. Damals war die Woche nach den Vorgaben des Kurarztes und dem Programm der Anwendungen streng getaktet. Dieses Wochenende gestalte ich jetzt freier. Aber ich komme zurück ins Unterallgäu, um in seinen Fußstapfen unterwegs zu sein. Es ist eine Kombination aus Spurensuche und Schnitzeljagd in der Region, in der Kneipp seine heute weltweit praktizierte Therapie entwickelt hat. Welches Erbe hat der legendäre Wasserdoktor seiner Heimat hinterlassen?

Hier sehen Sie einen Mann, der ein Bild mit verschiedenen Wegweisern an einem Masten macht.
© Helge Bendl - Verirren kann man sich nicht: Der knapp 50 Kilometer lange Kneipp-Weg zwischen Bad Wörishofen und Bad Grönenbach ist gut ausgeschildert.

Schnitzeljagd im Unterallgäu: Wo finde ich heute noch Kneipps Spuren?

Stephansried, Ottobeuren, Bad Grönenbach, Bad Wörishofen: Das sind jene Orte, in denen Kneipp gelebt und gewirkt hat. Wo und wie kann ich die fünf Elemente der Kneipptherapie am besten erleben? Auf dem 50 Kilometer langen Wanderweg, der die Gemeinden verbindet! Das wäre sicherlich im Sinne Sebastians gewesen, denke ich. Zum Wandern sind die Etappen zwar etwas ungünstig verteilt (ok, Hochwürden, ich gebe es zu: meine Fitness ist am Anfang der Saison noch nicht so weit), aber ich schaue mich jeweils vor Ort um und mache kürzere Ausflüge. Der Wille zählt schließlich!

Hier sehen Sie wie eine Person ein Handy hochhält, auf diesem eine Navigationsapp geöffnet ist.
© Helge Bendl - Raus aus der Stadt, rein in den Wald: Die Wander-App weist mir den Weg (doch Schilder gibt’s natürlich auch).

Los geht’s in einem echten Kuhdorf. Liebe Stephansrieder, das ist wirklich nicht als Beleidigung eines blöden Städters gemeint, ganz im Gegenteil. „Unsere Milch macht Bayern stark“, kann man in eurer Heimatregion noch auf verblichenen Schildern lesen, die in den Vorgärten der Höfe aufgestellt sind. In euren Ställen muht es dann, wenn die Tiere nicht auf der Weide sind. Das ist für Besucher wie mich eine schöne Geräuschkulisse, um sich in die Zeit von Sebastian Kneipp zurückzuversetzen. Vorher aber ist es Zeit für einen kurzen Muntermacher.

Hier sehen Sie ein blaues Schild mit weißer Schrift "Unsere Milch macht Bayern stark". Daneben ist ein bayerischer Junge zu sehen.
© Helge Bendl - Mich macht Milch nicht munter. Aber gute Sprüche gefallen mir - so wie dieser.

Espresso ganz ohne Koffein: Beim Armbad werde ich schnell wach.

Kneipp’scher Espresso: So nennt man das kalte Armbad, das ganz ohne Koffein auskommt, aber die gleiche Wirkung hat. Am Ortseingang von Stephansried gibt es eine kleine Kneippanlage, und hier probiere ich es mal wieder aus. Für 20 Sekunden die Unterarme ins Wasser eintauchen, das Atmen nicht vergessen, dann wieder raus, bevor die Kälte schmerzt. Dann das Wasser abstreifen, die Arme hin- und herpendeln – und wirken lassen. Genial! Es ist wirklich so, dass ich nach Armbädern immer nicht nur für kurze Zeit erfrischt bin (was nicht nur an heißen Sommertagen gut tut). Ich merke förmlich, wie mein Körper erwacht.

Es heißt, der Kneipp’sche Espresso fördere die Blutzirkulation und kräftige den Herzmuskel. Das passt, denn ich muss ein paar Höhenmeter machen, rauf auf den Hügel. Das Geburtshaus von Sebastian Kneipp, in der seine Familie vor gut 200 Jahren lebte, ist leider abgebrannt. Aber es gibt ein Denkmal, einen imposanten Obelisken. Blumenschmuck, eine Parkbank, rauschendes Laub: Hier habe ich Zeit, für eine kurze Achtsamkeitsübung. Das geht ganz einfach: Ich blende andere Gedanken aus, konzentriere mich nur auf das trockene Lindenblatt – betaste es, nehme seinen herben Geruch war, höre es knistern.

 

In Kneipp’s Fußstapfen: Ich wandere auf seinem Schulweg nach Ottobeuren.

Dann wandere ich weiter nach Ottobeuren, knapp 13 Kilometer weit auf Kneipp’s altem Schulweg. Sanft wellt sich das Land aus, ein von glitzerndem Raureif überzogenes Mosaik aus feuchten Wiesen und frisch umgebrochenen Äckern, hier herbstbraun, dort schokoladenschwarz. Im Frühsommer, bei meinem ersten Besuch im Unterallgäu, bin ich durch ein Puzzle aus strotzender Fruchtbarkeit spaziert, vorbei an Wiesen und Weiden in tausendundeiner Schattierung saftigen Grüns. Löwenzahn und Hahnenfuß wuchsen da, Klatschmohn und Kornblumen. Nun erlebe ich, dass sich die Natur auf die Winterruhe vorbereitet. Die Jahreszeiten bewusst wahrzunehmen, ist eine meiner liebsten Achtsamkeitsübungen.

Hier sehen Sie ein Landschaftsbild mit grüner Wiese und Bergen im Hintergrund.
© Helge Bendl - Idylle pur: Städtern wie mir gefällt das ländliche Unterallgäu. Vor allem, wenn man am Horizont die Berge sieht...

Symphonie für die Augen: Die Klosterkirche erlebe ich als Kraftort.

Prächtig wie ein Schloss thront die Basilika der Benediktinerabtei Ottobeuren über dem Ort. Die barocke Klosterkirche wirkt auf mich als Symphonie für die Augen: Alles ist prachtvoll und üppig dekoriert, um die Gläubigen mit Opulenz und Prunk zu ergreifen. Ob’s am Weihrauchduft liegt? In Kirchen wie diesen kann ich, obwohl kein Katholik, gut zur Ruhe kommen. Nicht alle Gotteshäuser fühlen sich für mich wie Kraftorte an, diese Kirche aber schon. Auch ein paar junge Familien lassen sich bei ihrem Ausflug von der Atmosphäre beeindrucken, sonst ist die Kirche leer. Wobei das nicht ganz stimmt. So viele Engel bevölkern das Haus, dass ich sie nicht zählen kann. Angeblich sollen es über tausend sein...

Hier sehen Sie ein Handy mit einer Navigationsapp geöffnet. Im Hintergrund können Sie eine Basilika sehen.
© Helge Bendl - Ich habe mein Etappenziel erreicht: 40 Kilometer von Bad Wörishofen nach Ottobeuren - das ist ein strammer Marsch!

Gut gefrühstückt (nach Kneipp-Vorgaben mit Vollkornmüsli und frischen Früchten, aber auch mit Kaffee aus echten Bohnen statt Malzkaffee – ich hoffe, der Pater mit der Gießkanne verzeiht mir die kleine Sünde) geht es am nächsten Tag von Ottobeuren nach Bad Grönenbach. Erst kommt der gepflegte Kneipp-Aktiv-Park, dann stehen wieder Wälder und Wiesen auf dem Programm. Kurz unter der Autobahn durch, dann ist Bad Grönenbach erreicht – und entpuppt sich als schmucker Ort, der mit fünf Wassertretanlagen aufwartet. Perfekt für meine müden Wandererbeine! Es gibt auch einen Barfußpfad, bei der Tretanlage am Schlossweiher, unterhalb vom Hohen Schloss. Es mag komisch klingen, doch für meine durch die Wanderstiefel eingeschnürten Füße fühlt es sich wie Urlaub an, durchs Gras zu gehen und dann über Tannenzapfen und Flusskiesel zu laufen.

 

Neue Rolle für Sebastian Kneipp: Heute lebt er als Chat-Bot weiter.

Nächste Station ist Bad Wörishofen. Vor der Anreise schaue ich kurz auf die Webseite der Stadt. „Grüß Gott in Bad Wörishofen J“, heißt mich da der berühmte Pfarrer willkommen: Zum 200. Geburtstag ist Sebastian Kneipp anscheinend als Chat-Bot wiederauferstanden und beantwortet Fragen zum Ort. Als ich dann ganz real durch den Ort marschiere, begegnet mir der berühmte Mann zumindest dem Namen nach an fast jeder Straßenecke: Kneipp-Apotheke, Kneipp-Bäckerei, Kneipp-Museum, Kneipp-Straße. Zwischen Stadtzentrum und Kurpark entdecke ich gleich drei Kneipp-Denkmäler. Am besten gefällt mir das Marmorrelief beim Gradierwerk. Kneipp hält dort bedeutsam ein Buch in der Hand: Links steht „Mein Testament“. Und was ist rechts davon abgebildet? Eine simple Gießkanne! Selbst in der Medizin ist das Einfache eben auch das Beste.

 

Gesund und lecker kochen: Das tut Körper und Seele gut.

Kneipps Mausoleum auf dem Friedhof muss ich nicht besuchen, das Kneipp-Museum kenne ich schon vom letzten Besuch. Ich schaue lieber bei Marcus Müller (hier geht´s zum Video) auf ein Mittagessen vorbei. Der nette Koch ist Küchenchef im Kneipp-Kurhaus St. Josef und keiner, der sich versteckt: Gäste dürfen gemeinsam mit ihm kochen. Dafür fehlt mir zwar die Zeit, aber vielleicht kann ich mir von ihm ein paar Kniffe abschauen, wie man gleichzeitig gesund und lecker kocht? Mit ein paar guten Ideen nach Hause zu fahren, wäre doch ein schönes Souvenir... „Na klar“, sagt der joviale Koch, der ein Auge hat für die schöne Präsentation seiner Gerichte, und gleichzeitig eine philosophische Ader. „Gesund und gut zu essen, tut nicht nur Deinem Körper gut, sondern auch Deiner Seele“, meint er.

Es gibt ein Sandwich mit heimischen Saiblingsfilets, Spargelsalat mit frischen Kräutern aus dem Hausgarten, später noch eine (kleine!) Portion Rehrücken mit Kartoffelstampf. Ich bin satt, doch ein unangenehmes Völlegefühl stellt sich nicht ein. „Wenn Du merkst, Du hast gegessen, hast Du schon genug gegessen“, soll Kneipp gesagt haben – das ist fürs Kochen genau die richtige Devise! Übrigens: Als ich mich verabschiede, gibt’s zum Nachtisch noch zwei Ratschläge vom Profi, die auch ich als Laie einmal ausprobieren werde.

Mein Souvenir für Zuhause: Tricks vom Koch-Profi.

Statt immer nur Industriezucker kann man eingekochten Apfelsaft zum Süßen verwenden – das bringt auch tolle Fruchtaromen. Und es gibt einen Trick, um auf unnötige tierische Fette zu verzichten, nicht aber auf Geschmack. Einfach Magerquark nehmen und den mit frischem Leinöl aufpeppen! Das werde ich spätestens dann ausprobieren, wenn ich im Frühling wieder Rhabarber ernten kann. Das ist ein schon von Kneipp geschätztes Wundergemüse, an dessen sauren Stängeln ich sogar roh gerne herumknabbere. In Kombination mit frischen Erdbeeren schmeckt mir Rhabarber noch besser – gesund ist’s auch! 

 

Man(n) lernt nie aus: Heilpflanzen aus der Apotheke der Natur.

Thema Männergesundheit: Früher habe ich kaum Energie darauf verwendet, gesund zu bleiben und Krankheiten vorzubeugen. Anscheinend bin ich nicht der einzige Mann, dem es so geht. Beim Spaziergang durch den Bad Wörishofener Kurpark stoße ich also plötzlich auf einen „Garten der Männergesundheit“ mit zwölf Heilkräutern im Hochbeet. Manche kann man hier sogar im Winter kosten, Rosmarin zum Beispiel – der soll positive Auswirkungen haben auf Kreislauf, Durchblutung und Stoffwechsel. In die nächste Pastasauce (Tomaten fördern die Immunabwehr!) kommt also ein ganzer Zweig. Tausendgüldenkraut ist neben dem viel erforschten Johanniskraut ein Wundermittel für Leber und Niere.

 

Rendezvous mit Naturwesen? Mal schauen, wen ich treffen werde...

Vom Kurpark mache ich noch einen Abstecher in den Wald – und zwar in einen, der es einem leicht macht, ihn mit allen Sinnen zu erfahren. Zwölf Kilometer lang ist der Bad Wörishofener Kneipp-Waldweg, doch ich gehe jetzt nur eine kürzere Strecke. Es gibt, im hügeligen Unterallgäu keine Selbstverständlichkeit, auch kaum Steigungen. Weshalb ich viele Familien mit kleinen Kindern treffe.

Am „Ort der Bäume des Waldes“ teste ich mein Wissen, ob ich die Arten anhand ihrer Rinde erkennen kann – an den Ästen hängen oft kaum noch Blätter. Welche Wald- und Naturwesen ich unterwegs kennen gelernt habe, darf ich indes nicht verraten: Mir wurde Verschwiegenheit auferlegt. Herausposaunen aber kann ich, dass man sich auch hier mitten im Wald auf Kneipp’sche Art erfrischen kann – das ist ein heißer Tipp für den nächsten Sommer.

Hier sehen Sie einen Mann, der ein Holzschild betrachtet, das an einem Baum befestigt ist.
© Helge Bendl - Welcher Baum ist die „Mutter des Waldes“? Kleiner Tipp: Fängt an wie mein Nachname, doch die Birke ist es nicht...

Ab in den Wald: Ich entspanne am „Ort des Träumens“.

Am „Ort des Träumens“ blinzle ich dann den beiden jungen Frauen, die hier ebenfalls entspannen, nur kurz zu. Und lasse dann mit geschlossenen Augen die Geräusche des Waldes, vor allem aber auch dessen Stille, auf mich wirken.

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Helge Bendl

Offiziell ist Helge Bendl nach Stationen in München, Stuttgart und Berlin nun im beschaulichen Tübingen zu Hause. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit: Der bereits mit dem CNN Journalist Award ausgezeichnete Reporter tourt die meiste Zeit im Auftrag von Magazin- und Zeitungsredaktionen um die Welt. Besonders viel Zeit verbringt er im südlichen Afrika. Ab und an schaut er sich aber auch in heimischen Gefilden nach spannenden Geschichten um. Und hat festgestellt: Ebenso facettenreich und faszinierend wie die trendige „Traditionelle Chinesische Medizin“ sind jene Menschen, die sich in Bayern unseren eigenen historischen Heilmethoden widmen...

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