Bereits seit Jahrtausenden praktizieren sie die Chinesen: die traditionelle chinesische Medizin (kurz: TCM). Was sie so besonders macht und wie sich westliche Medizin und TCM ergänzen, erzählt uns Dr. Stefan Hager von der Fachklinik für Traditionelle Chinesische Medizin, Psychosomatik und Psychotherapie Bad Kötzting. Dr. Hager ist seit sechs Jahren ärztlicher Direktor der Fachklinik.

In der Fachklinik in Bad Kötzting verbinden Sie psychosomatische und traditionelle chinesische Medizin – was heißt das eigentlich?

Dr. Stefan Hager: Im Westen kümmern sich Psychotherapeuten um den emotionalen Bereich und die somatische Medizin ist für den Körper zuständig. Die TCM und die Fachklinik in Bad Kötzting schlagen eine Brücke zwischen diesen beiden Welten – denn sie bieten ein ganzheitliches Konzept.

Wenn Sie etwas für Ihren Körper machen – Sie sich bewegen, auf sich achten, sich etwas Gutes gönnen – fühlen Sie sich psychisch besser. Das Gleiche gilt auch andersherum: Durch Gesprächstherapie und Psychoedukation reduzieren Sie innerliche Anspannung und Stress – und damit Ihre körperlichen Beschwerden. Kurz: Der Psyche hilft es, wenn Sie etwas für den Körper machen. Und wenn es Ihnen psychisch gut geht, spürt das Ihr Körper.

Wie unterscheidet sich die chinesische Medizin von der westlichen Medizin?

Dr. Hager: Im Westen trennen Schulmediziner viel stärker zwischen Körper und Geist – ziemlich künstlich, wie ich finde. Ist ein Mensch oft ängstlich, gehen TCM-Mediziner davon aus, dass er eine Schwäche des Nierenfunktionskreises haben könnte. Denn die TCM ordnet den Organen bestimmte Emotionen zu – eine schwache Niere kann in diesem Fall bedeuten, dass ein Mensch zu viele Sorgen im Alltag hat.

An dieser Stelle forschen wir weiter nach: Wo kommen diese Ängste und Sorgen her? Stammen sie aus der Kindheit oder gibt es momentan finanzielle Probleme? Nur, wenn wir wirklich mit dem Menschen sprechen, behandeln wir die Ursache für seine Erkrankung, nicht nur die Symptome.

Woran leiden die Menschen, die zu Ihnen in die Klinik kommen?

Dr. Hager: Ca. 60 % unserer Patienten haben chronische Schmerzen, die sich wegen psychischer Belastungen verstärken – zum Beispiel, weil sie sich gerade scheiden lassen oder auf der Arbeit gemobbt werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Patienten einmal die Woche Psychotherapie bekommen. Denn zur Therapie gehört auch die Psychoedukation. Das bedeutet: Wir klären die Patienten über ihre Erkrankung genau auf, geben ihnen Werkzeug zum Stressmanagement an die Hand und betreuen sie nach ihrem Aufenthalt bei uns weiterhin online. All das hilft ihnen dabei, ihre Emotionen besser zu kontrollieren. So bleiben sie langfristig gesund.

Wie behandeln Sie einen Menschen, der kurz vor dem Burn-out steht?

Dr. Hager: Am ersten Tag übernimmt ein Schulmediziner die Anamnese – er stellt dem Patienten Fragen zu Beschwerden, früheren Erkrankungen und Lebensgewohnheiten. Dann ziehen wir unseren chinesischen Professor mit einem Dolmetscher hinzu. Der Professor stellt eventuell noch zusätzliche Fragen, misst den Puls und schaut sich die Zunge des Patienten an. Die Zunge ist in der TCM nämlich besonders wichtig. Wenn sie zum Beispiel belegt, geschwollen oder verfärbt ist, lässt das auf körperliche Krankheiten schließen. Nachdem er all diese Erkenntnisse in Betracht gezogen hat, stellt der Professor eine sogenannte „energetische Diagnose“ – eine Diagnose aus chinesischer Sicht.

Dabei stellt er einen Plan auf, was getan werden muss, um den Körper des Patienten wieder zurück in die Balance zu bringen – oder anders gesagt: um Ying und Yang zu harmonisieren. Er verordnet zum Beispiel Akupunktur und hochdosierte chinesische Kräuter, je nach individueller Krankengeschichte des Patienten. Die schmecken manchmal bitter, lindern die Beschwerden unserer Patienten aber gezielt.

Und wie geht es dann weiter?

Dr. Hager: Am zweiten Tag bekommt er ein psychotherapeutisches Aufnahmegespräch. Zusätzlich lernt der Patient von uns die Tiefenentspannungstechnik Qigong – sie wendet er nach seinem Aufenthalt in der Klinik ganz einfach im Alltag an. Meistens sind die Menschen, die zu uns kommen, sehr angespannt. Deshalb verordnen wir ihnen Tuina-Massagen. Das ist eine manuelle Therapie, die unter anderem Elemente der Bindegewebsmassage, Reflexzonenmassage und der Akupressur beinhaltet. Dabei drückt der Masseur zum Beispiel bestimmte Akupunkturpunkte und massiert den Rücken großflächig. Das Ziel: Den Energiefluss im Körper wieder in Einklang zu bringen.

Zweimal in der Woche fragen wir ganz genau nach: Welche Beschwerden haben sich verbessert und welche sind eventuell neu hinzugekommen? Die Therapie passen wir dementsprechend an. All diese Komponenten sorgen dafür, dass der Patient sich besser entspannt. Denn wenn er merkt, dass der körperliche Schmerz und die Anspannung nachlassen, öffnet er sich leichter in den psychotherapeutischen Gesprächen.

Was ist TCM?

Die traditionelle chinesische Medizin wird in China bereits seit mehr als 2.000 Jahren praktiziert. Sie führt körperliche und psychische Beschwerden auf ein Ungleichgewicht des Energieflusses im Körper zurück – in der TCM spricht man in diesem Fall zum Beispiel von einem verstärkten Yin oder einem zu wenig vorhandenen Yang.

Alle Organe im menschlichen Körper sind entweder Yin – und speichern Nährstoffe und Energie, wie die Milz – oder Yang. Das sind Hohlorgane, wie der Magen. Ist ein Organ zu viel oder zu wenig aktiv, beeinflusst das die Funktionen der anderen Organe. Deshalb zielt die TCM darauf ab, den Körper in einen harmonischen Energiefluss (Qi) zu bringen.

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Janina Ottma

Janina Ottma kommt ursprünglich aus dem Nordwesten Deutschlands, dem Ruhrgebiet. Mittlerweile genießt sie die frische Münchner Luft, die aus den Alpen in die bayerische Landeshauptstadt weht. Bei einem ausgiebigen Spaziergang an der Isar oder beim Yoga kommt sie zur Ruhe. Achtsamkeit und Meditation in ihren eigenen Alltag zu integrieren, ist ihr wichtig. Damit ihre Kreativität weiterhin fließt und sie ihre positiven Erfahrungen rund um das Thema "Kraft tanken" weitergeben kann.

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