Gesellschaftliches Ereignis und Therapie zugleich

Für die erlauchten Gäste von einst waren die nachmittäglichen Kurkonzerte vor allem ein gesellschaftliches Ereignis: Man kam, lauschte, spazierte, ließ sich sehen und wollte auch selbst gucken, wer so da ist. Dass Musik auch einen therapeutischen Effekt hat und warum das so ist – das wusste man damals noch nicht. Trotzdem merkte man: Sie tut unglaublich gut.

Heute ist für NeurowissenschaftlerInnen die Sache klar: Harmonische Klänge können die Heilungskräfte des Körpers stärken. Denn während wir zuhören, vergessen wir die negativen Gefühle und Gedanken, mit denen wir uns rund ein Drittel der gesamten Wachzeit eines Tages beschäftigen – und die uns langfristig krank machen. Zudem lassen wir uns vom emotionalen Ausdruck der Musik anstecken: Hören wir zum Beispiel etwas Beschwingtes, fühlen wir uns gleich besser. Als besonders wirksam gilt klassische Musik, wie sie auch von Kurorchestern oder Kurensembles auf die Bühne gebracht wird. Das spezifische Zusammenspiel klingt äußerst angenehm, vor allem live, weil die Töne so ihre ganze, magische Wirkung entfalten können. Kurkonzerte sind demnach eine wunderbar unterhaltsame Musik-Therapie, die auch in den fünf Bayerischen Staatsbädern zum Einsatz kommt.

 

Bad Kissingen: Philharmonische Klänge für die Seele

1836 war es noch ein Experiment: Die Pächter des Kurbetriebs in Kissingen, die Gebrüder Bolzano, engagierten für die Sommersaison den böhmischen Kapellmeister Johann Kliegl mit seinen 15 Musikern. Denn die musikalische Lage schien mehr als ausbaubar gewesen zu sein: „Die Musik in Kissingen war seit mehreren Jahren sehr schlecht, obschon die Curgäste ein bedeutendes Honorar dafür zahlten“, schrieb etwa der Arzt Adam Elias von Siebold im Jahr 1828. Von Kliegls Orchester jedoch war das Publikum begeistert, so dass es vom 1. Mai 1837 an fest engagiert wurde – die Geburtsstunde der beständigen Kurmusik in Bad Kissingen, das seit Sommer 2021 auch zum UNESCO-Welterbe zählt.

Der Einsatz der Musiker war in den Jahrzehnten darauf vielfältig: Sie weckten morgens die Gäste in den Straßen. Sie untermalten Theater- und Opernaufführungen. Gaben Konzerte im Kurgarten. Spielten bei schlechtem Wetter im heutigen Rossini-Saal im Arkadenbau.Traten im nahe gelegenen Bad Bocklet auf, wenn es kein eigenes Kurensemble hatte. Durch wechselnde Konzertmeister wurde die Qualität immer besser und das Repertoire immer umfangreicher. 1878 fanden schon 62 reguläre Konzerte statt – mit 486 verschiedenen Werken, vor allem von Johann Strauss und Familie und Richard Wagner, dazu unter anderem von Carl Maria von Weber, Rossini, Mozart, Brahms und Saint-Saëns.

 

Große Bühnen für großes Repertoire

Wie die Musik wurden auch die Bühnen prächtiger. Akustische und optische Highlights sind seitdem vor allem zwei Bauten: Die in den Kurgarten drehbare Konzertmuschel, die der Münchner Architekt  Max Littmann 1911 in seiner neu geschaffenen Wandelhalle integrierte. Dazu kam 1913 der heutige Max-Littmann-Saal im Regentenbau – mit den Emporen und der grandiosen Akustik gilt er nach wie vor als einer der besten Konzertsäle der Welt.

Die MusikerInnen des heutigen Kurorchesters, der Staatsbad Philharmonie Kissingen, sind allesamt Profis. Sie lassen in den Sommermonaten mehrmals täglich ihre Instrumente in der sogenannten großen Berliner Salonorchester-Besetzung erklingen. Für ZuhörerInnen und MusikerInnen bleibt das immer gleichermaßen spannend: Das Repertoire ist mit rund 3000 Stücken enorm und umfasst alle denkbaren Stilepochen von Barock bis Operette, von Pop bis Walzer.

 

Bad Bocklet: Kleine, feine Kurmusik

Auch Gäste des Nachbar-Staatsbads Bad Bocklet können in den Genuss der Konzerte der Staatsbad Philharmonie Kissingen kommen – wie in allen Staatsbädern mit Gästekarte kostenlos. Umgekehrt ist das genauso möglich: Wer in Bad Kissingen urlaubt, kann zur musikalischen Unterhaltung nach Bad Bocklet fahren, der Heimat des „Staatsbad-Trios“.

Die drei Musiker stellen an Klavier, Schlagzeug und Saxophon bzw. Klarinette unter Beweis, wie groß ihr Können ist – mal mit klassischer Musik, mal mit traditionellen Märschen, Medleys von großen Filmmusik-Klassikern oder beliebten Evergreens. Die Abendkonzerte folgen dabei immer verschiedenen, großen Themen mit durchdachtem Programm,darunter auch ein Tanzabend mit Bewirtung und dem Motto „Dürfen wir bitten?“. Meist finden die Konzerte im Kursaal statt, bei schönem Wetter oder größeren Veranstaltungen spielt die Musik auch mal im Freien.

Bad Brückenau: Musikalisch bunte Palette

Im Staatsbad Bad Brückenau ist die Historie besonders lebendig – schließlich war dieser Ort der Lieblingsplatz von Architektur- und Kunstmäzen König Ludwig I. Auch die Musikszene ist im königlichen Kleinod bunt und facettenreich. Jeden Sonntag etwa gibt es im Kursaalgebäude die „Sunday Afternoon Classics“: Für die unbeschwerte Veranstaltungsreihe stehen verschiedene Ensembles auf der Bühne, darunter sinfonische Blasorchester, Swing-Bands, Blasmusikgruppen, kleine Pop-Kombos oder MusikerInnen des örtlichen Musikvereins. Ein Abend steht ganz im Zeichen von „Lola unplugged“: Wechselnde Künstler spielen alleine oder im Duett, aber immer mit „gezogenem Stecker“ feinste Akustik-Sounds.

Den geschichtsträchtigen Kurort noch ein Stück mehr zum Leuchten bringen natürlich sinfonische Klassiker. Entsprechende Publikumsmagneten sind die Auftritte des Bayerischen Kammerorchesters (BKO), das in der Stadt Bad Brückenau seine Heimat hat. Die vierteljährlichen „Jahreszeitenkonzerte“ der ProfimusikerInnen sind ein erlesenes Programm aus ausgesuchten Stücken zu Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Aber nicht nur in Großbesetzung ist das Bayerischen Kammerorchester ein Glanzlicht im Veranstaltungskalender. Auch die kleinen, feinen Konzertreihen sind außergewöhnliche Ereignisse, darunter etwa das „Zwischen-Spiel“: Hier gestalten einige OrchestermusikerInnen in kleinen, variablen Ensembles hochwertige Unterhaltung zwischen Barock und Moderne,die man nicht alle Tage zu hören bekommt.

 

Bad Steben: Welche Melodie darf’s sein?

Schon seit 1895 sind in Bad Steben die Pavillons der musikalische Mittelpunkt: Fast die ganze Woche über spielt das Kurensemble mehrmals täglich für die Kurgäste unter anderem Walzer, Operetten-Melodien, Film- und Musical-Song. Auch Wunschkonzerte gibt es, bei denen das Publikum bestimmen darf, was die MusikerInnen zum Besten geben sollen. Meistens trifft man sich dazu im Prinzregent-Luitpold-Saal.

Besonders stimmungsvoll sind zudem die Kaffeekonzerte: In den kälteren Monaten treten die Musiker im Wintergarten des stilvollen Kurhauscafés direkt neben dem Parkschlösschen auf. Noch schöner wird es nur bei schönem Wetter: Dann schallt es aus dem Pavillon an der Terrasse bis über das großzügige Grün des Kurparks.

 

Bad Reichenhall: Sinfonisch meisterhaft

Musikalisch betrachtet einzigartig ist die Alpenstadt im Süden Bayerns: Hier musizieren die Bad Reichenhaller Philharmoniker – als einziges philharmonisches Kurorchester Deutschlands. Die Entstehung geht auf das Jahr 1868 zurück. Auf der Suche nach adäquater Kurmusik engagierte man damals den Königlich-Preußischen Musikdirektor Josef Gung’l. Er gründete die erste Kurkapelle in Bad Reichenhall und hatte damit enormen Erfolg: Die nachmittäglichen Konzerte wurden zum erklärten Höhepunkt des Tages, den sich kaum ein Gast entgehen lassen wollte.

Mehrere musikalische Leiter später erreichte das Orchester eine Größe, mit der sich auch symphonische Literatur auf die Bühne bringen lässt – ein ganz besonderes Klangerlebnis.Seit 1912 liefert dafür die neobarocke Konzertrotunde mit ihrer Kuppel und den schlanken Säulen eine stimmungsvolle Kulisse. Ist das Wetter gut, schallt es fast jeden Tag aus dem Musikpavillon nebenan. Jährlich spielt das Berufsorchester hier, direkt am Königlichen Kurgarten, rund 350 Kurkonzerte. Etwa 500 Stücke können die MusikerInnen spontan anstimmen, darunter große Stücke von Chopin bis Vivaldi, nostalgische Serenaden, mitreißende Opernfantasie sowie Salon- und Kammermusik in kleineren Ensembles. Auch fulminante Sinfonien, etwa von Beethoven und Brahms, führen die Philharmoniker auf, dazu veranstaltet es unter anderem Mozart-Tage und ein Operetten-Festival – das allerdings jenseits der Kurmusik im Bad Reichenhaller Theater.

Das musikalische Angebot in den Bayerischen Staatsbädern ist also außergewöhnlich vielfältig. Doch egal ob es das akustische Duo, das harmonische Trio, ein kleines Ensemble oder das große Orchester ist: Musik berührt die Seele – und hält sie gesund.

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